Veranstaltung: | 3. Landesmitgliederversammlung 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 3.1. Leitantrag |
Antragsteller*in: | Landesvorstand GRÜNE JUGEND Sachsen-Anhalt (dort beschlossen am: 26.10.2023) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 27.10.2023, 19:18 |
L1: Strukturwandel in Sachsen-Anhalt - Für Menschen statt für Profite!
Antragstext
Die Wende, gepaart mit einer drastischen Stillstandspolitik der
Landesregierungen, hat Sachsen-Anhalt zu einem Land mit vielen Lücken gemacht.
Die berühmte „Rote Laterne“ ist inzwischen eine Art inoffizielles Markenzeichen
von Sachsen-Anhalt. Das hat natürlich auch konkrete Konsequenzen für die
Menschen vor Ort.
Infrastruktur – gerade in ländlichen Regionen – verschwindet. Gut bezahlte und
sichere Jobs sind rar. Vernünftige Ausbildungsangebote auch. Und für Dinge wie
ÖPNV, Krankenhäuser oder Jugendclubs fehlt es den Kommunen an Geld – wie überall
sonst auch. Praktisch jede Kommune hat ein Gebiet, das fast ausschließlich aus
alten, sehr baufälligen, oder sogar zusammengefallenen Gebäuden besteht. Die
Straßen sind dort geprägt von leer stehenden Wohnungen und längst vergessene
Ladenflächen, die seit mehreren Jahren schon geschlossen haben und provisorisch
mit Möbeln aus den frühen Zweitausendern eingerichtet sind. In den ländlichen
Räumen befindet sich der nächste Supermarkt oft drei Dörfer weiter, die
ärztliche Versorgung ist nicht gesichert, weil Ärzt*innen sich lieber in den
Städten niederlassen wollen bzw. die Vergabe von Kassenplätzen oder andere
Strukturen es ihnen nicht ermöglichen. Den Bus in die nächste Stadt zu nehmen
ist ebenfalls keine realistische Option, da der viel zu selten fährt. Das stellt
vor allem für junge, aber auch alte Menschen, die keinen Führerschein haben oder
sich ein Auto schlichtweg nicht leisten können, ein enormes Problem dar. Diese
Menschen sind auf verlässliche und günstige öffentlichen Verkehrsmittel
angewiesen. Gleichzeitig stützen wir uns noch immer auf fossile
Wirtschaftszweige, wie Kohle und Gas, von denen alle – außer die Landesregierung
– längst wissen, dass diese keine langfristigen Perspektiven mehr bieten. Und
dort, wo neue Wirtschaft entsteht, z. B. ein neuer Solarpark, der mal eben von
Investor*innen aus Westdeutschland gebaut wird, werden die Menschen vor Ort zu
oft vergessen.
Während sich nun diese Perspektivlosigkeit breit macht, haben die Rechten in
unserem Land ein leichtes Spiel, den Frust in der Bevölkerung für ihre
menschenverachtenden Ideologien zu nutzen. Das ist ein Grund mehr, die Politik
des Stillstands aufzugeben und endlich für ein zukunftsfestes Sachsen-Anhalt zu
kämpfen!
Dornige Chancen
Die Ansiedlung von Großkonzernen bietet dem Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt
eine riesige Chance, sich für die Zukunft gut aufzustellen. Denn neben den
Arbeitsplätzen, die unmittelbar durch die Ansiedlung der Konzerne entstehen,
schaffen diese auch zusätzliche Arbeitsplätze und Strukturen in den
Siedlungsgebieten. Nach Jahren der Abwanderung von Betrieben nach
Westdeutschland und ins Ausland, stärken Großkonzerne, die sich in Sachsen-
Anhalt niederlassen, den hier so benötigten Strukturwandel.
Mit horrenden Fördermitteln werden vom Bund, Land und den Kommunen Anreize für
die Großkonzerne geschaffen, damit diese sich im strukturschwachen
Ostdeutschland niederlassen. Aktuell sieht man das am Beispiel der
Intelansiedung in Magdeburg. Für die Errichtung einer Fabrik zur Herstellung von
Halbleitern wurden Intel fast 10 Milliarden Euro zugesichert. Neben der
finanziellen Unterstützung durfte Intel fruchtbaren Ackerboden versiegeln und
erhält einen eigenen Windpark zur Sicherstellung der Energieversorgung sowie
einen vergünstigten Strompreis. Intels Chipfabrik wird voraussichtlich 1500
Gigawatt verbrauchen, was dem Doppelten des Stromverbrauchs der Stadt Magdeburg
entspricht.
Zum Wohl der Wirtschaftskraft werden immer wieder Zugeständnisse gemacht,
wohingegen die Gesellschaft jedes Mal hinten angestellt wird und oft erst gar
keine Beachtung bekommt. Dabei ist schon jetzt klar, dass durch die Ansiedlung
die Mieten steigen werden und vor allem der Wohnungsbau für einkommensstarke
Haushalte vorangetrieben wird. Zusätzlich werden die bereits knappen Kitaplätze
und überfüllten Klassenräume noch weiter an die Grenzen getrieben. Hier braucht
es schon jetzt vernünftige Konzepte, um dieser Situation vorzubeugen.
Für die Menschen!
Was wir brauchen ist ein echter Strukturwandel, der endlich auch und gerade den
Menschen hier in Sachsen-Anhalt zugutekommt und sie in den Fokus rückt! So
schaffen wir neue Perspektiven und können Regionen wiederbeleben und am Leben
halten.
Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die Gewerkschaften in Sachsen-Anhalt, aber
auch generell in Ostdeutschland, einen Fuß in die Tür bekommen und so für
gerechte Arbeitsbedingungen, starke Tarife und langfristige Arbeitsplätze
kämpfen können. Wir wollen uns für die Klimabewegung einsetzen, damit
Großkonzerne endlich nicht mehr ohne Rücksicht auf Verluste unsere Umwelt für
ihre Profite zerstören können und wir wollen uns selbstverständlich auch für die
Anwohner*innen einsetzen, ohne die keine Entscheidungen getroffen werden dürfen.
Die Ansiedlung und Förderung von Wirtschaft und Infrastruktur muss heißen, dass
in der Region gut bezahlte und sichere Jobs entstehen und dass die Profite den
Menschen vor Ort zugutekommen, ohne dabei öffentliche Infrastruktur und
Ressourcen, wie z. B. Wasser oder Land, unverhältnismäßig auszunutzen oder zu
belasten. Politische Blindheit, wie die unreflektierte Intel-Euphorie der
Landesregierung, und einen Strukturwandel, der allein der Wirtschaft dient, ist
für uns nicht hinnehmbar.
Es braucht also die richtigen Rahmenbedingungen. Mit einer Statusgarantie könnte
sichergestellt werden, dass alle Beschäftigten der fossilen Industrien neue Jobs
mit vergleichbaren Tarifbedingungen erhalten. Mit einer allgemeinen Jobgarantie
könnten gut bezahlte Jobs in den Kommunen entstehen und so Vollbeschäftigung und
Stabilisierung in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs erreicht werden. Status-
und Jobgarantie können den Menschen notwendige Sicherheit bieten, um
optimistisch auf den Wandel blicken zu können. Darüber hinaus braucht es mehr
langfristige Aus- und Weiterbildungsangebote für die Menschen in den
Transformationsbranchen. Nicht zuletzt müssen durch eine planende und
vorausschauende Industriepolitik und durch eine Stärkung der Daseinsvorsorge
viele neue, gut bezahlte und mitbestimmte Jobs entstehen. [1]
Ganz grundsätzlich braucht es viel mehr Infrastruktur in öffentlicher Hand.
Selbstverständlich muss überall dort, wo der Staat Unternehmensrisiken abfedert
oder – wie bei Intel – sich finanziell beteiligt und fördert, auch öffentlicher
Wohlstand entstehen, welcher so auch unter demokratischer Kontrolle steht.
Darüber hinaus gibt es viel Infrastruktur, die von Anfang an
gemeinwohlorientiert geplant werden muss. Das gilt vor allem dort, wo aktuell
neue Industrien ohne öffentliche Beteiligung entstehen und einen Großteil der
Gewinne nur aus der Region abführen. Neue gebaute Solar- und Windparks müssen
unbedingt die Kommunen und Bürger*innen beteiligen. Deren Gewinne müssen vor Ort
bleiben und dürfen nicht Großinvestor*innen zugutekommen. Wenn das Windrad am
Dorfrand die Kindertagesstätte finanziert, werden auch Akzeptanzprobleme
weniger. Die Grundversorgung gehört konsequent zurück in die öffentliche Hand,
losgelöst von einer Profitmaximierung. Menschen im ländlichen Raum haben
Anspruch auf eine gute notärztliche Versorgung, schnelles Internet, guten ÖPNV
oder ausreichend Kita-Plätze. Solche Infrastruktur ist einerseits das gute Recht
der Menschen im ländlichen Raum und hilft andererseits Sachsen-Anhalt endlich zu
der attraktiven Region umzugestalten, die sie zu sein verdient, und hält die
Menschen auch nach ihrer Schulzeit, dem Studium oder der Ausbildung hier. Damit
wird gesichert, dass auch langfristig Arbeitskräfte vor Ort sind, die wiederum
den Strukturwandel voranbringen können.
Die Kohle.
Für einen gerechten und zukunftsfähigen Strukturwandel in Sachsen-Anhalt ist es
zwingend notwendig, insbesondere die Braunkohle in den Blick zu nehmen. Auch
wenn uns allen klar ist, dass die Kohleförderung und Verstromung schon lange
keine Zukunft mehr hat, bildet sie dennoch ein einflussreiches Standbein in
Sachsen-Anhalt. Es ist essenziell für unsere Zukunft, schnellstmöglich aus den
fossilen Energien und somit auch der Kohle aussteigen. Der Weg hin zu einem
klimagerechten Sachsen-Anhalt lässt schon lange nicht mehr auf sich warten und
muss mit aller Kraft vorangetrieben werden. Denn damit schützen wir nicht nur
das Klima und bringen Sachsen-Anhalt dem 1,5 Grad Pfand ein Stück näher, sondern
sichern ebenfalls die Versorgungssicherheit weiter ab und schaffen neue und vor
allem sichere Arbeitsplätze, die auch eine Zukunft haben, für die Beschäftigten
in Sachsen-Anhalt. Hierbei ist es von enormer Bedeutung, den Kohleausstieg für
und besonders mit den Menschen vor Ort zu gestalten. Denn nur mit dem Rückhalt
der Bevölkerung ist ein Wandel in der Energieversorgung möglich.
Der Braunkohletagebau bildet nach wie vor ein zentrales Standbein für
Beschäftigte in Sachsen-Anhalt. Gut bezahlte Jobs und eine starke
gewerkschaftliche Verankerung machen die Jobs in der Braunkohle trotz des
Auslaufens zu attraktiven Stellen für die Arbeitnehmer*innen. Aus diesem Grund
muss den Beschäftigten eine tariflich gleichwertige Alternative zugesichert
werden und schon jetzt in die Aus- und Weiterbildungsangebote für die Menschen
in der Braunkohle investiert werden. Ein Strukturwandel in der Braunkohle, der
auf Kosten der Menschen umgesetzt wird, stellt für uns keine Option dar.
Allein aus der Kohleförderung und -Verstromung auszusteigen, ohne im gleichen
Atemzug die erneuerbaren Energien im Land auszubauen, ist ebenfalls keine
Option. Für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Sachsen-Anhalt und die vielen
Menschen, die ein Recht auf bezahlbaren und sauberen Strom haben, ist es
zwingend notwendig, die Erneuerbaren schnell und in der Fläche auszubauen. Um
den herausfordernden Wechsel hin zu mehr Wind- und Solarenergie zu schaffen,
muss man die Kommunen und Anwohner*innen bei diesem Transformationsprozess mit
einbeziehen. Damit Sachsen-Anhalt eines der Bundesländer wird, in denen der
Ausbau der erneuerbaren Energien im Einklang zwischen Mensch und Natur gut
gelingen kann, müssen Anreize für die Menschen vor Ort geschaffen werden.
Sachsen-Anhalt zukunftsfähig zu gestalten, ist eine schwere Aufgabe, aber wenn
wir gemeinsam kämpfen und die Menschen endlich vor marktgetriebene Interessen
stellen, wenn wir das Bundesland attraktiv für die Bevölkerung gestalten und
strukturelle, statt allein finanzielle Anreize schaffen, dann machen wir
Sachsen-Anhalt zu einer Region, die die lang ersehnten blühenden Landschaften
von der Altmark bis zum Burgenlandkreis endlich zu sehen bekommt.
Begründung
erfolgt mündlich.
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